Freitag, 30. August 2013

Irgendwo dazwischen ...

"Helikopter-Eltern" (oder auch "Drohnen-Eltern") ist DAS Schlagwort, wenn es um heutige Erziehung geht. In den Medien werden die extremsten Beispiele überbehütender Eltern genussvoll seziert, von Kommentatoren, Foristen und Leserbriefschreibern entweder zerrissen oder als einzig wahre Einstellung zum Elterndasein gefeiert. Da gibt es Mütter, die ihre Grundschulkinder nicht alleine mit dem Bus zur Schule fahren lassen, während sich andere Mütter auf das Experiment einlassen, einen Neunjährigen auf eigenen Wunsch Pfadfinder in der Großstadt-U-Bahn spielen zu lassen. Mir persönlich gefällt die U-Bahn-Idee besser, aber darum soll es jetzt gar nicht gehen.

Ich habe mich gefragt - wie wahrscheinlich viele von uns Müttern, die wir diese Artikel lesen -, wie es eigentlich war, als ich klein war. Wie mich das geprägt hat. Und ich komme zu dem Schluss: Meine Mutter war eine Helikopter-Mutter - und auch wieder nicht.

Meine fünf Jahre ältere Schwester hat vieles in unserer Kindheit anders empfunden als ich. Das hier ist also eine ganz subjektive Sicht, sicherlich an der ein oder anderen Stelle verklärt oder nur sehr vage.

Ich bin mit dem Bus zur Schule gefahren - vom Grundschulalter an. Ich bin schon in der ersten Klasse zusammen mit meinem Klassenkameraden den Berg zur Haltestelle runtermarschiert und nach der Schule wieder hoch. Im Sommer und im Winter. Manchmal hat meine Mutter mich abgeholt - aber das waren geliebte Ausnahmen. Was ich nicht durfte - im Gegensatz zu anderen Kindern: mit dem Fahrrad zur Schule fahren. Das war meiner Mutter zu gefährlich. Ich durfte das ein einziges Mal: als Klassenausflug. Und ich fand es unfair, dass ich es sonst nicht durfte.

Dafür durfte ich nachmittags draußen spielen, wie und wo ich wollte. Auf dem Dorf ist das natürlich viel einfacher als in der Stadt, dessen bin ich mir bewusst. Wir haben auf den Feldern gespielt und im Wald. Als Heuschnupfenkind kam ich mehr als einmal mit dicken, roten Augen nach Hause - dann wurde ich ins abgedunkelte Zimmer gelegt, habe mich erholt und bin am nächsten Tag wieder losgezogen.

Im ersten Gymnasialjahr bin ich immer noch mit dem Bus gefahren - doch unser Vater hat uns morgens mitgenommen, weil der Weg sehr weit war und es morgens nur einen Bus gab, der sehr früh fuhr (und wir dann noch fast eine Stunde vor der Schule warten mussten - das war halt so). Mittags holte uns unsere Mutter oft ab, weil es ohnehin schon spät war und der Weg den Berg hoch sehr weit.

Nach dem Umzug an den Rhein ging es mit Schulbusfahren weiter. Und Linienbusfahren kam dazu. Nachmittags alleine in die Stadt (oftmals mit dem Auftrag, direkt Lebensmittel einzukaufen), notfalls vom anderen Stadtteil zu Fuß nach Hause (außer abends, da war es am Wäldchen entlang unangenehm) - kein Problem. Dafür wurde an andere Stelle und viel später "helikoptert": Als ich anfing, abends auszugehen, mich mit Freundinnen zu treffen und Party zu machen (als klassischer Spätzünder war das bei mir erst mit 17!), bestand meine Mutter auf dem "Gut angekommen"-Anruf (erst recht, nachdem ich den Führerschein hatte). Und wenn sie festgelegt hatte, wann ich heimzukommen hatte, und ich habe mich nicht daran gehalten (was selten genug vorkam, wurde ich doch oft dazu verdonnert, den letzten Bus zu nehmen), gab es tierischen Zoff. Spontan bei Freundinnen übernachten? Ging gar nicht, noch nicht mal, wenn ich abends noch angerufen hätte, dass ich nicht mehr heimkomme. Ich fand das ganz, ganz schlimm - und vor allem unheimlich peinlich. Was hätte ich in diesen Momenten für entspanntere Eltern gegeben! Wirklich rebelliert habe ich aber nicht - hätte es denn was genützt? Ich war zu unsicher, zu wenig selbstbewusst und viel zu harmoniebedürftig für eine Rebellion. Was mir meiner Meinung nach dadurch auch ein wenig ausgetrieben wurde, war der Abenteuergeist. Vielleicht, weil ich schon früh wusste, dass ich mit Vorschlägen wie einem Jahr USA o. Ä. gar nicht erst aufschlagen musste, wenn es schon unmöglich ist, abends in die Stadt zu gehen, ohne vorher anzukündigen, wann ich nach Hause komme.

Zur Schule: Meiner Wahrnehmung nach haben sich meine Eltern nicht oft in der Schule eingemischt - was sicher auch daran lag, dass ich meist mit guten Noten nach Hause kam (wie auch schon meine Schwester). Ich habe meine Hausaufgaben selbstständig gemacht und es hat sie keiner kontrolliert. Wenn ich mal vor einer Klassenarbeit abgehört wurde, dann von meiner Schwester. Aber auch das kam selten vor. Ärger in der Schule war auch selten. Vieles habe ich alleine geregelt - oder ausgesessen. So ist das heute noch: Entweder packe ich die Dinge sofort an oder ich verdränge sie - und frage auch nicht um Hilfe, bis es (fast) zu spät ist.

Schwieriger war der Umgang mit Schulaktivitäten außerhalb der Unterrichtszeit, z. B. Theater-AG. Aufgrund der schlechten Busverbindungen waren hier oft meine Eltern gefragt, um mich abzuholen. Dabei hatte ich immer das Gefühl, dass das für meine Eltern eine Belastung darstellt und sie das Engagement zwar einerseits gut fanden, andererseits aber auch ein wenig genervt waren - und ich dadurch automatisch weniger gemacht habe, als ich vielleicht gewollt hätte. Auch sportliche Aktivitäten, Musikunterricht o. Ä. wurden nicht wirklich angemahnt und gefördert. Manchmal denke ich, es wäre schön gewesen, hier ein wenig Druck zu bekommen - dann wäre ich heute vielleicht nicht so unsportlich und faul ...

Tja, und jetzt sitze ich da und überlege, wie es bei mir in ein paar Jahren aussehen wird. Ich hoffe, ich bin in der Lage, dem Kleinen alles zuzutrauen, was geht. Ihn an der langen Leine zu lassen und ihn dabei zu beschützen, wo es notwendig ist. Ich hoffe, dass er ein gesundes Selbstbewusstsein entwickelt, dass er lernt, selbstständig zu sein, ohne das Vertrauen in uns und das Wissen, dass wir immer für ihn da sind, zu verlieren. Ich hoffe, dass ich in den richtigen Momenten loslassen kann und dass ich in den richtigen Momenten da bin, um ihn aufzufangen. Ich hoffe, er wird mit mir über alles reden können und es auch tun.

Ich hoffe, der Rettungshubschrauber startet nicht zu oft und nur in den richtigen Momenten.